02/07/2024 0 Kommentare
Die Glockenentnahme am 1. Juni 2021 aus der Philipp-Melanchthon-Kapelle
Die Glockenentnahme am 1. Juni 2021 aus der Philipp-Melanchthon-Kapelle
# Aktuelles
Die Glockenentnahme am 1. Juni 2021 aus der Philipp-Melanchthon-Kapelle
Glocken rufen zum Gebet, morgens, mittags und abends. Ihr Klang ist der Gemeinde lieb und vertraut. Am Sonntagmorgen ist ihr Läuten schon Teil des Gottesdienstes. So ist eine Glocke mehr als ein tönender Kulturgegenstand. Sie hat Anteil an der christlichen Verkündigung. In der Philipp-Melanchthon-Kapelle im Orchideenweg Berlin- Rudow läutete sehr lange eine Glocke mit Hakenkreuz und Reichsadler. Noch über 75 Jahre nach Ende des Naziregimes war sie zu hören, symbolisch und aus Überzeugung verschmolzen mit der nationalsozialistischen Ideologie als damals herrschender Lebenswirklichkeit vieler Christinnen und Christen. Heute stehen wir fassungslos vor der Glocke mit den Symbolen, die für Diktatur, Völkermord und Krieg stehen. Und wir wissen zugleich: Dieses Erbe kann nicht und darf nicht, weil es schwer und schmerzhaft ist, umgangen, verdrängt oder verschwiegen werden.
Die Kirchenleitung und der wissenschaftliche Beirat Erinnerungskultur der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz haben deshalb zu Recht als erste Maßnahme das Stilllegen der Glocke empfohlen. Des Weiteren, so der Beirat, sei ein angemessener Umgang, die Glocke aus dem Kirchturm abzunehmen und an einem nahgelegenen Ort auszustellen und zu kommentieren. So wird der Bruch mit der Vergangenheit sichtbar gemacht, die Kontinuität aufgebrochen. Der Gebrauch wird beendet, dem Missbrauch gewehrt: Die Glocke wird in einen neuen pädagogischen Kontext gestellt. Diese Lösung ist der Evangelischen Dreieinigkeitskirchengemeinde Buckow und der Evangelischen Kirchengemeinde Rudow nach intensiver, gründlicher Reflexion der eigenen Geschichte mit Hilfe des Museum Neukölln gelungen. Dafür bin ich allen Beteiligten ausdrücklich dankbar.
In Zukunft wird es darauf ankommen, dass die Erinnerung an den Nationalsozialismus ihren Weg auch ohne Zeitzeugen vom kommunikativen in unser kulturelles Gedächtnis schafft. Umso wichtiger werden Orte und Gegenstände, die die Geschichte »erzählen«, auch die
der Verstrickung der Kirche in das Unrecht. Die mit Nazisymbolik versehene Glocke wird an ihrem neuen Standort, gerade weil sie nicht mehr läutet, – pädagogisch sachgerecht begleitet – zu einer aussagekräftigen Zeugin dafür, was geschieht, wenn die Kirche sich dem Zeitgeist unterwirft statt auf das Evangelium zu hören, wenn sie diktatorische Herrscher oder Ideologien statt ihren eigenen Herrn anbetet. Mit dem Erinnern der historischen Tatsachen und dem Bekennen der Schuld unserer Kirche wird Umkehr möglich. Über den Dreischritt - erinnern, lernen, handeln – will die kirchliche Erinnerungskultur für unser Leben Orientierung geben. Die Glocke wird also zu einem Lernort, kann heutige Betrachter und Betrachterinnen dazu mahnen, sich gegen Nationalismus und autoritäre Bewegungen zu engagieren.
Die Einordnung der Gemeinde in die Zeit des Nationalsozialismus und des Kirchenkampfes umfasst die damalige Lebenswirklichkeit der Gemeinde und ihrer Mitarbeitenden, den Kapellen-Neubau am Orchideenweg und die Umstände der Entstehung der Glocke. Dass dies historisch so detailliert erforscht und zeitlos interessant zu lesen
ist, verdanken wir der engagierten Arbeit der Kunsthistorikerin Beate Rossié, deren Dokumentation ich nicht nur den Gemeindegliedern wärmstens zum Studium empbuckow-rudow_WEB_270521.pdffehle. Auch daraus können wir alle für heute und für die Zukunft lernen.
Bischof Dr. Christian Stäblein
Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz
aus: Die Philipp-Melanchthon-Kapelle in Berlin-Rudow und ihre Glocken
von Beate Rossié
Hier können Sie die Veranstaltung im Museum Neukölln, bei der auch der Film der Glockenabnahme gezeigt wird, ansehen. Vom Kirchturm ins Museum – Die Geschichte der Rudower Glocke mit Nazisymbolen
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